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Der neue Ruhlandpfad

Der Ruhlandpfad wurde am 10. Juni 2022 neu eingeweiht und bereichert seither als dritte Route das Angebot der Kulturpfade Schwalm. Wie schon bei der ersten Ausweisung eines Ruhlandpfades im Jahr 1988 zeichnet der Knüllgebirgsverein in Zusammenarbeit mit dem Stadtgeschichtlichen Arbeitskreis verantwortlich für die Wiederbelebung des attraktiven Streckenangebotes.

Übersicht der räumlichen Lage

Zur Geschichte des Treysaer Wassergrabens

Die Wanderung auf dem Ruhlandpfad lenkt den Blick auf ein Stück Treysaer Stadtgeschichte und eine besondere Ingenieurskunst zur Versorgung der "Stadt auf dem Berg" mit Trinkwasser wie mit Wasch- und Löschwasser.

Bernd Raubert vom Stadtgeschichtlichen Arbeitskreis Treysa e.V. hat dazu anläßlich der Einweihung des Ruhlandpfades am 10.6.2022 folgende Ausführungen vorgetragen:

Vor 6oo Jahren war Treysa das wirtschaftliche Zentrum und mit 2000 Einwohnern die größte Stadt in der ehemaligen und bedeutenden Grafschaft Ziegenhain / Nidda.

Die Blütezeit im ausgehenden Mittelalter verdankt die Stadt maßgeblich den Grafen von Ziegenhain, die ihren Wohnsitz häufig und gerne in Treysa hatten und unter anderen die Infrastruktur (Stadtbefestigung, Straßen, Badehaus, Hospital usw.) in hohem Maße gefördert haben.

Mit der Stadtgründung um das Jahr 1249 hatte Treysa, die Stadt auf dem Berg zunächst ein großes Problem mit der permanenten Wasserversorgung. Schwalm, Wiera und Grenzebach flossen zwar unterhalb der Stadt vorbei, sie lagen aber außerhalb der Stadtmauern und waren im Belagerungsfalle für die Bevölkerung unerreichbar. Man hat zwar auf dem Stadtberg viele Brunnen gegraben und angelegt, sie konnten aber im Brandfall, die Häuser waren größtenteils noch mit Stroh gedeckt, nicht das in großen Mengen benötigte Löschwasser liefern.

Manchem ist sicherlich die Sage von Johannes Ruhland, dem Schwälmer Johannismännchen, bekannt der in der Mitte des 15. Jahrhunderts in unserer Stadt gelebt haben soll und eines Mordes bezichtigt worden ist. Da es keine Beweise für seine Unschuld gab, bot Ruhland an, die Stadt Treysa im Rahmen eines Gottesurteils mit Wasser versorgen zu wollen. Mit der Anlage des Wasserleitungssystems soll ihm ein technisches Wunderwerk gelungen sein, das ihm nicht nur die Freiheit sondern auch Ruhm und Ehre einbrachte. Zu seinen Ehren wird in Treysa bis heute alljährlich im Juni das Johannisfest gefeiert.

Wann diese ausgeklügelte Wasserversorgungsanlage tatsächlich entstanden ist und wer sie erbaut hat wissen wir nicht. Die erste urkundliche Erwähnung aus dem Jahre 1423 ist uns aber überliefert. Darin verpflichtete sich Hermann von Cüborg (Coburg) gegenüber der Stadt „... das Wasser in und außerhalb der Stadt instand zu halten ...“ und schließlich auch eine Mühle zum Bohren der Holzröhren zu erbauen. Der Urkunde ist zu entnehmen, dass die Wasserleitung bereits eingerichtet war und daher wesentlich älter ist.

Wenden wir uns nun der technisch ausgeklügelten Anlage zu, die wir bis heute bewundern: Sie bestand aus einem 8 Kilometer langen, künstlich angelegten Graben, einem Sammelteich und einer 1,4 Kilometer langen Röhrenleitung, die schließlich bis zu den drei Kümpfen (steinerne Wasserbehälter) auf dem Altstadtberg führte.

Da es in der unmittelbaren Umgebung der Stadt keine höher gelegene Quelle gab, haben die oder der Erbauer der Anlage in dem Katzenbach, ein wenig unterhalb der Sachsenhäuser Ortslage eine Ableitungsstelle eingerichtet. Von dieser Stelle hat man einen Graben angelegt, der das kostbare Wasser entlang „einer“ Höhenlinie und damit auch den unterschiedlichen Geländestrukturen folgend bis zum Hephataberg leitete. Das Gefälle des Grabensystems betrug – nach eigenen Berechnungen - nur 0,36%; eine wahrhaft außergewöhnliche Leistung unserer Vorfahren, die noch keine Nivelliergeräte kannten.

Der Graben mündete in den sogenannten Büttenteich, einem flachen Sammelteich an der Sachsenhäuser Straße, der innerhalb des heutigen Diakoniezentrums Hephata lag. Eine besondere Herausforderung bildete die Weiterleitung des Wassers auf den Altstadtberg, denn bekanntlich liegt zwischen den beiden Erhebungen das Wieratal.

Auch dieses Problem wurde auf geniale Weise gelöst indem man sich des artesischen Prinzips bediente. Vom Büttenteich beginnend, verlegten unsere Vorfahren eine 1400 Meter lange Holzröhrenleitung unter dem Bachbett der Wiera hindurch bis auf den Altstadtberg.
Das artesische Prinzip, das bis in unsere Tage bei modernen Wasserversorgungsanlagen zur Anwendung kommt, basiert auf dem physikalischen Gesetz des kommunizierenden und in sich geschlossenen Röhrensystems. Dabei muss der Ausgangspunkt höher wie der Endpunkt liegen. Zwischen Büttenteich und Altstadtberg haben wir einen Höhenunterschied von 8,20 Meter ermittelt.

Man kann heute nur noch unvollkommen erahnen, welche Freude in Treysa herrschte, als das kostbare Nass in den Markt-, Strauch- und Braukumpf hineinfloss. Damit war die permanente Wasserversorgung gesichert.

Erwähnenswert ist auch die Tatsache, dass man im 19. Jahrhundert mit dem „Überlaufwasser“ aus dem Büttenteich vier Mühlen betrieben hat. Neben einer Papiermühle, einer Spinnerei- und Ölmühle und einer Getreidemühle wurde auch die kleine städtische Bohrmühle zum Bohren der Holzwasserröhren mit Wasserkraft betrieben.

Zur Unterhaltung der gesamten Anlage waren über die Jahrhunderte mindestens ein Wassermann oder Wasserleiter im Dienst der Stadt beschäftigt. Sie bzw. er hatte die Aufgabe den Graben und die Röhrenleitung Instand zu halten und auch die Holzröhren zu bohren.

Eine bedeutende Veränderung brachte der Neubau des städtischen Wasser- und Elektrizitätswerkes, dessen Einrichtung im Jahre 1905 den wachsenden Wasserbedarf der Stadt decken konnte und die historische Wasserversorgung überflüssig werden ließ.

Mit dem Ende der Thiel’schen Mühle, die als letzte von ehemals drei Mühlen mit Hilfe des überschüssigen Wassers aus dem Büttenteich betrieben wurde, war die altehrwürdige Anlage im Jahre 1944 endgültig bedeutungslos geworden. In der Folgezeit wurden größere Teile des Grabens eingeebnet und verschwanden aus der Topographie.  

Dennoch müssen wir uns mit Respekt vor der Leistung unserer Vorfahren verneigen. Dass die mittelalterliche Wasserversorgungsanlage der Stadt Treysa ohne größere Veränderungen über 500 Jahre in Betrieb war, verdeutlicht uns deren technische Brillanz und die effektive Funktionalität.

© 2022, Bernd Raubert, Stadtgeschichtlicher Arbeitskreis e.V.

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